Verkehrsintegration von Zweirädern

Jürgen Pagel

Verkehrsintegration von Zweirädern

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In Deutschland dürfen E-Scooter laut gesetzlicher Regelung (§88e StVZO) nicht schneller als 20 km/h fahren. Der offizielle und auch der "wahre" Grund dafür liegt in einer Kombination aus Sicherheitsbedenken, Verkehrsintegration und Versicherungs- sowie Führerscheinrechtlichen Erwägungen. Hier sind die Hintergründe im Detail:

🔒 1. Sicherheit im Straßenverkehr
• Unfallschutz: E-Scooter sind instabiler als Fahrräder, haben kleine Räder und keine Knautschzone. Höhere Geschwindigkeiten würden das Unfallrisiko stark erhöhen – sowohl für Fahrer als auch für andere Verkehrsteilnehmer.
• Fußgängerbereiche: E-Scooter bewegen sich oft in Fußgänger-naher Umgebung (z. B. auf kombinierten Radwegen). Höhere Geschwindigkeiten würden hier zu deutlich mehr Unfällen führen.

📜 2. Gleichstellung mit Fahrrädern
• In Deutschland dürfen normale Fahrräder auch ohne Helm- und Versicherungspflicht bis 25 km/h fahren, Pedelecs sogar mit elektrischer Unterstützung bis 25 km/h.
• E-Scooter wurden bewusst langsamer reguliert (20 km/h), damit sie noch ohne Führerschein, Helmpflicht und mit einfacher Versicherungsplakette betrieben werden dürfen.

💼 3. Versicherungs- und Zulassungsrecht
• Ab 20 km/h würde ein E-Scooter als „Kraftfahrzeug“ im engeren Sinne gelten → Dann bräuchte man:
o Eine Zulassung
o Einen Führerschein
o Einen Helm
o Und das Fahrzeug müsste den Anforderungen eines Motorrads/Mopeds entsprechen.
• Die 20 km/h-Grenze ist also eine Art Regulierungskompromiss, damit E-Scooter überhaupt unkompliziert am Straßenverkehr teilnehmen dürfen.

🏛️ 4. Politischer Hintergrund
• Als E-Scooter 2019 legalisiert wurden, gab es bereits viel öffentliche Skepsis (z. B. wegen Chaos auf Gehwegen in anderen Ländern).
• Die Politik wollte daher bewusst niedrig ansetzen, um zunächst Erfahrungen zu sammeln – eine Art vorsichtiger „Realversuch“.

🔍 Fazit: Was ist der „wahre“ Grund?
Der wahre Grund ist eine politisch motivierte Regulierung zum Schutz aller Verkehrsteilnehmer, vor allem schwächerer als Fußgänger. Gleichzeitig soll durch die Begrenzung ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, der eine einfache Nutzung ohne Führerschein, Helm und Zulassung erlaubt.


🌍 Internationale Beispiele – Höchstgeschwindigkeiten für E-Scooter
Land Max. Geschwindigkeit Besonderheiten / Konsequenzen
Frankreich 25 km/h Helmpflicht unter 12 Jahren, viele Unfälle führten zu teils lokalen Verboten.
USA Meist 25–32 km/h Große Unterschiede je Bundesstaat. In vielen Städten Chaos & Sicherheitsprobleme.
Schweiz 20 km/h Ähnliche Regelung wie Deutschland – gilt als gut kontrolliert.
Österreich 25 km/h Helm empfohlen, aber nicht Pflicht. Verstärkte Polizeikontrollen nach Unfällen.
Spanien 25 km/h In Städten wie Barcelona und Madrid durch klare Regeln gut integriert.

🚨 Was passiert, wenn E-Scooter schneller fahren dürfen?
1. Höheres Unfallrisiko
• In Ländern mit 25–30 km/h kommt es laut Studien häufiger zu Unfällen mit schweren Verletzungen.
• Typisch sind Stürze auf unebenem Untergrund oder Kollisionen mit Fußgängern.

2. Mehr Regelverstöße
• Höhere Geschwindigkeit → oft Nutzung auf Gehwegen trotz Verbot → Gefährdung von Passanten.
• In den USA z. B. gab es viele Beschwerden über rücksichtsloses Verhalten durch Sharing-Nutzer.

3. Stärkere Regulierung notwendig
• Frankreich und Spanien mussten nachträglich viele lokale Verbote, Sperrzonen oder neue Regeln einführen (z. B. Nachtfahrverbote, Altersgrenzen).
• In Paris wurde 2023 sogar der komplette Verleih verboten, obwohl die Geräte nur 25 km/h fahren durften – wegen Unfällen und Verkehrschaos.

4. Komplexere rechtliche Einordnung
• In vielen Ländern gelten E-Scooter ab 25 km/h nicht mehr als "leichte Fahrzeuge", sondern brauchen:
o Typenzulassung
o Rückspiegel
o Bremslicht
o Manchmal sogar Führerschein oder Helmpflicht

⚖️ Warum bleibt Deutschland (noch) bei 20 km/h?
„Lieber sicher & simpel, als schnell & riskant“ – das ist die Grundhaltung.
• Vermeidung von Chaos wie in Paris, L.A. oder Wien.
• Einheitliche, einfache Regeln: Kein Führerschein, keine Zulassung, keine Helmpflicht.
• Schutz von Fußgängern und Schwächeren, da E-Scooter oft in gemischten Zonen unterwegs sind.

🚀 Was wäre möglich in Zukunft?
• Es gibt Forderungen, die Grenze auf 25 km/h anzuheben – analog zu Pedelecs.
• Dafür müssten aber:
o Helm- oder Führerscheinpflicht eingeführt werden
o E-Scooter technisch sicherer werden (größere Reifen, bessere Bremsen)
o Klare städtische Infrastrukturen geschaffen werden (eigene Fahrspuren etc.)

Persönliche Meinung
Die Gesetzgebung in Deutschland erscheint gegenüber derjenigen in den USA ausgesprochen restriktiv. Tatsächlich jedoch nur auf den ersten Blick. Schaut man genauer hin, findet man auch in den USA – abhängig vom Bundesstaat, in dem man sich gerade befindet – Regelungen, die deutlich weniger offen sind, als wir es vermuten würden. So sind auch in den USA Geschwindigkeiten - wie sie von manchen YouTubern stolz präsentiert werden – von 60 km/h bis deutlich über 100 km/h mit E-Scootern eindeutig verboten und wer erwischt wird, muss mit hohen Geldstrafen und im Falle von Personenschäden auch mit Gefängnisstrafen rechnen.

Wer meine bisherigen Artikel zu dem Thema verfolgt hat, weiß, dass ich ein „eiserner“ Verfechter des Schutzhelms bin. Ich hatte bisher zwei schwere Stürze (davon der erste Sturz ohne Helm), die ich nur mit viel Glück und einer ganzen Horde von Schutzengeln heil überstanden habe. Seitdem gibt es Fahren ohne Helm bei mir nicht. Das Risiko schwerer Kopfverletzungen mit oftmals lebenslangen Folgen habe ich als ehemaliger Intensiv-Krankenpfleger stets vor Augen. 

In Deutschland erleiden jedes Jahr ca. 270.000 Menschen ein SHT Schädel-Hirn-Trauma). Davon sind ca. 23.400 Radfahrende. 85% der Verunglückten haben keinen Helm getragen. SHT-Patienten sind in aller Regel Intensivpflichtig. Jeder Tag auf einer Intensivstation kostet ca. 13-15.000 Euro. Bei einer durchschnittlichen Liegedauer von 7 Tagen bedeutet das Kosten für die Allgemeinheit von mindestens 2 Mio. Euro jährlich. VERMEIDBAR – nur durch das Tragen eines Helms im Wert von 70-200 Euro. Vermeidbar viel Leid für die Betroffenen selbst – Jobverlust, Gedächtnisverlust, Verlust von Partnerschaften, Pflegeaufwand und anders noch zusätzlich – und für die Angehörigen. Wahrscheinlich liegen die Gesamtkosten im mittleren zweistelligen Millionenbereich.

Dabei sind die Statistiken noch nicht einmal vollständig, denn neueste Zahlen über beteiligte E-Scooter-Fahrende existieren derzeit noch gar nicht, nachdem diese erst 2019 offiziell freigegeben wurden. 2020 bis 2022 gab es teilweise Corona-Restriktionen, in denen kaum jemand „draußen“ unterwegs war. Somit liegen aktuell nur die Jahre 2023 und 2024 vor und da ist eine exorbitante Zunahme an Unfällen zu verzeichnen.

Ich würde eine Helmpflicht – unabhängig der zu erlaubenden Geschwindigkeitsbegrenzung – sehr befürworten. Ohne Wenn und Aber.

Was ich jedoch noch viel wichtiger finde, ist die Erhöhung der Sichtbarkeit im Straßenverkehr.
Dazu gehören m.E. Blinker hinten (nicht nur wie bisher vorne) bzw. Blinker im Helm und im Unterboden (US-Version Segway Ninebot). Letztere sind bisher in Deutschland verboten. Bei Vorhandensein der Blinkerfunktion im Unterboden erlischt die ABE – was für ein Schwachsinn. Auch eine Tagfahrlichtfunktion im Frontbereich ist in Deutschland explizit verboten, gilt als unerlaubtes Tuning und führt zum Verlust der ABE und damit des Versicherungsschutzes. Von mir aus könnten die E-Scooter und Fahrräder aussehen wie Christbäume – Hauptsache sie werden von vorne, von hinten und von der Seite gesehen. Hierbei gilt es seitens der deutschen Gesetzgebung nachzulegen und alles zu erlauben, was zu einem mehr an Sicherheit beiträgt. Denn auch die hierzulande erlaubten 22 km/h für E-Scooter und 25 km/h für E-Bikes sind kein Pappenstiel, zumal das nur auf ebenen Strecken in Verbindung mit der Motorunterstützung gilt. Bergab sind Geschwindigkeit jenseits der 30 km/h ohne entsprechende Knautschzone ohne weiteres möglich.

Sei’s drum. Ich wünsche allen Mobilisten allseits gute und unfallfreie Fahrt!

Euer Jürgen

©2025 Jürgen Pagel

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