Solltest Du heute noch eine DSLR kaufen?

Jürgen Pagel

Solltest Du heute noch eine DSLR kaufen?

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Oftmals hört und liest man die Empfehlung, dass ein Anfänger (oder eine Anfängerin) eine DSLR (digitale Spiegelreflexkamera) zum Einstieg kaufen sollte, weil man damit eher den Zusammenhang zwischen ISO, Belichtung und Blende verstehen würde und weil sie deutlich günstiger geworden sind – inkl. der Objektive.

Beide Argumente sind Unsinn. Weder lernt man das Fotografieren mit einer DSLR grundsätzlich besser als mit einer DSLM, noch sind sie per se immer günstiger. Oftmals ist das Gegenteil der Fall. DSLR‘s sind schwer, größer und zwischenzeitlich gebraucht wieder relativ hochpreisig, weil es immer noch Sammler gibt, welche die letzten verfügbaren Modelle abgreifen, um sie gewinnbringend zu verkaufen oder weil sie diese als ein Stück Fotogeschichte in den Schrank legen. Die Unterschiede liegen im Detail und sollten vor einem Neukauf bzw. einem Upgrade bedacht werden.

1. Digitale Technik ermöglicht es, auf ein Spiegelsystem zu verzichten und das Bild im Sucher digital, statt optisch darzustellen. In der Praxis unterschiedet sich die Bildqualität nicht. Technischen Einfluss auf die Bildqualität hat hauptsächlich der Sensor, und der ist unabhängig vom Spiegelsystem. Tatsächlich werden in DSLM‘s und DSLR‘s teilweise die gleichen oder ähnliche Sensoren verbaut. 

2. Dabei haben Canon und Nikon den Markt und die Entwicklung vollkommen verschlafen und haben erst 2018 mit der Aufholjagd zu anderen Herstellern wie Fujifilm, Panasonic, Olympus (OM-Systems) u.a. begonnen.

3. Der digitale Sucher ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Spiegelloser Systemkamera und Spiegelreflexkamera. Während Du bei der DSLR das „echte“ Bild durch den Sucher siehst, schaust Du bei der DSLM auf einen kleinen Bildschirm. Der Sucher zeigt Dir die Umgebung nicht so an, wie sie „in echt“ aussieht, sondern in der Helligkeit, wie sie auf dem fertigen Foto aussehen würde. 

4. Ein Autofokus ist am Ende nur so gut, wie das Kameramodell es zulässt. Aktuelle Spiegellose wie die Sony A1, die Nikon Z8 oder die Canon R5 sind im High-End-Segment eine Klasse für sich. Sie stehen den High-End-DSLRs in nichts nach. Moderne DSLMs bieten zudem neue Funktionen wie sehr gute Augenautofokus-Systeme und mehr Autofokus-Messfelder, die den ganzen Bildschirm abdecken. Es ist davon auszugehen, dass es im Bereich Autofokus der Spiegellosen Systemkameras in den nächsten Jahren noch mehr Entwicklung geben wird, da im digitalen Bereich das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht ist. DSLMs haben DSLRs im Bereich Autofokus also nicht nur eingeholt, sondern überholt. Ich bin mir sicher: Sie haben sie überholt.

5. Die Spiegellose Systemkamera ist die beste Wahl, wenn es darum geht, möglichst viele Fotos in möglichst kurzer Zeit aufzunehmen. Der Spiegelmechanismus der Spiegelreflexkamera bremst hierbei erheblich aus und erlaubt bei den High-End-Modellen 12 bis maximal 16 Fotos in der Sekunde. DSLM‘s leben hier auf deutlich schnellerem Fuß: Die immerhin schon drei Jahre alte Sony A1 macht 30 Fotos in der Sekunde, die neue Nikon Z8 bis zu 120 Fotos pro Sekunde. Auch günstigere DSLM‘s sind schneller als ihre Spiegelreflex-Pedanten und machen etwa doppelt so viele Fotos in der Sekunde wie vergleichbare Spiegelreflexkameras.

6. Fotografierst du mit einer Spiegelreflexkamera, klappt beim Fotografieren der Spiegel hoch und wieder runter, um Licht auf den Sensor zu lassen. Das verursacht das typische Auslösegeräusch einer DSLR. In der Regel stört das nicht – ganz im Gegenteil, denn Du hörst, wenn ein Foto ausgelöst wurde. Es gibt jedoch Situationen, in denen man so leise wie möglich arbeiten möchte oder muss. Das Auslösegeräusch kann in solchen Fällen störend sein. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das Fotografieren in Kirchen auf Hochzeiten. Spiegellose Systemkameras sind deutlich leiser, da Du lediglich den mechanischen Verschlussmechanismus der Belichtungszeit hörst. DSLM‘s haben außerdem noch einen elektronischen Verschluss, der das Auslösegeräusch vollkommen eliminiert.

7. Der elektronische Sucher einer spiegellosen Systemkamera ist ein Bildschirm, der ständig ein Bild anzeigt. Dadurch ist der Akkuverbrauch einer spiegellosen Systemkamera deutlich größer als der einer Spiegelreflexkamera. Du kannst mit DSLM‘s deutlich weniger Fotos pro Akku machen. Gerade, wenn Du unterwegs fotografierst, musst Du das berücksichtigen und sicherheitshalber mehrere Akkus mitnehmen. Auch wenn das im ersten Moment nach einem erheblichen Nachteil klingt, so ist das in der Praxis eher problemlos. Zumal sich das mit Batteriegriffen (sofern diese verfügbar sind) beheben lässt. Fujifilm bietet beispielsweise mit ihren Batteriegriffen, die auch das Hochkant-Fotografieren deutlich optimieren, den Zugriff auf drei Akkus.

8. Das geringere Gewicht ist bei den Einsteigermodellen von DSLM’s geringer als bei DSLR’s. Im Vollformatbereich sind die DSLM’s zwischenzeitlich deutlich schwerer geworden, aber immer noch leichter als vergleichbare Spiegelreflexkameras. Grundsätzlich sind allerdings APS-C- und MFT-Modelle leichter als Spiegelreflexkameras, was vor allem auch den leichteren Objektiven liegt.

9. Es kann nicht pauschal beantwortet werden, ob spiegellose Systemkameras oder Spiegelreflexkameras günstiger sind, da der Preis vom Kameramodell abhängt. Grundsätzlich sind bei den meisten Herstellern die Preise der DSLMs (inflationsbereinigt) vergleichbar mit den Preisen der Vorgänger DSLRs zur Markteinführung.

10. Bei den Objektiven wird es allerdings teuer. In der Spiegelreflexabteilung kannst Du von älteren Objektivmodellen profitieren, die schon lange auf dem Markt und daher günstiger sind, obwohl die Leistung immer noch hervorragend ist. Bei spiegellosen Systemkameras sieht das anders aus: Da alle Objektive in den letzten Jahren neu entwickelt werden mussten, sind die Preise hierfür in der Regel hoch. Canon ist für hohe Objektivpreise bekannt. Andere Hersteller sind da teils deutlich günstiger. Adaptieren von „alten“ Objektiven ist zwar grundsätzlich bei allen Modellen möglich, aber hat auch Nachteile hinsichtlich Autofokus und andere Funktionen, die auf elektronischem Weg übertragen werden müssen.

Lohnt sich also heute noch der Kauf einer Spiegelreflexkamera? Antwort: Es kommt darauf an.

Du bist ein ambitionierter Hobbyfotograf und musst mit der Fotografie kein Geld verdienen? Dann solltest Du bei Deinem DSLR-Modell bleiben, sofern Du mit der bisherigen Leistung zufrieden bist, Dir der Autofokus bisher schnell genug und qualitativ ausreichend war und Du auf Grund eines Systemwechsels nicht davon ausgehen kannst, dass sich Deine Art der Fotografie oder die Qualität Deiner Bilder signifikant verbessern wird.
Du wolltest sowieso eine neue Kamera kaufen (aus welchem Grund auch immer)? Dann investiere Dein Geld lieber in eine moderne DSLM.

Du bist Profifotograf oder hast zumindest die Motivation dazu, einer zu werden? Dann solltest Du Dein Geld statt in ein veraltetes System lieber in eine spiegellose Systemkamera investieren, die Dir insgesamt mehr Vorteile bietet als Dein bisheriges Spiegelreflex-System. Vergesse jedoch bei Deiner Investition nicht die Objektive. Statt die alten Objektive Deines Spiegelreflexsystems an Deine DSLM zu adaptieren, solltest Du diese besser gleich mitverkaufen und Dir neue, weiterentwickelte Objektive zulegen. Als Profifotograf rechnet sich das allemal, zumal das neue System im Grunde Dein Kunde bezahlt.

Du hast bereits eine DSLM und gehst mit dem Gedanken, Dir ein neues Modell zu kaufen, schwanger? Dann lass‘ es. Unterliege nicht dem G.A.S., wie viele andere Fotografen. Eine Nikon Z8 bringt technisch nur wenig Neues gegenüber einer Nikon Z6II. Eine Fujifilm X-T5 hat gegenüber der X-T4 einen in Teilen verbesserten Autofokus und einen größeren Sensor (26 vs. 40 MP), aber die X-T4 ist immer noch eine hervorragende APS-C-Kamera. Der größere Sensor bringt nämlich nicht nur Vorteile mit sich. Mehr Speicherbedarf, langsamere Übertragungsgeschwindigkeiten sowie höhere Ansprüche an das Bildbearbeitungsprogramm müssen bedacht werden. Oftmals ist sogar ein Wechsel des PC bzw. Mac erforderlich, um mit den größeren Daten umgehen zu können. Investiere Dein schwer erarbeitetes Geld lieber in neue und bessere Objektive!

Ich wünsche sehr, dass ich Dir bei Deiner Entscheidung helfen konnte!

©2024 Jürgen Pagel | Neunzehn58

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