Sind Smartphones gut genug für die Fotografie?

Jürgen Pagel

Sind Smartphones gut genug für die Fotografie?

Die Basis für diesen Beitrag bilden verschiedene Testberichte renommierter Magazine sowie YouTube-Berichte über die Leistungsfähigkeit moderner Smartphones (Stand Februar 2024).
Dabei geht es mir nicht um die technischen Details (Specs) der neuen Smartphone-Technologien, sondern vielmehr um den praktischen Nutzen und die jeweilige Zielgruppe. Smartphones per se als schlecht und für die Fotografie ungeeignet zu bezeichnen, wird ihnen nicht gerecht.

Fokus, Rauschen und anderes Ungemach
„Ein schlechtes Foto ist immer noch besser als gar kein Foto“. Wer kennt ihn nicht, diesen beliebten Spruch. Ich empfinde das immer als Ausrede von „Fotografierenden“, die weder fotografische Regeln noch die Einstellungen ihrer Kamera beherrschen. Schlechte, also wirklich schlechte Fotos wandern in den virtuellen Papierkorb. Was will ich mit unscharfen Fotos, bei denen der Fokus überall sitzt, nur nicht da, wo er hingehört? Oder mit Fotos, bei denen Luminanz- bzw. Farbrauschen das gesamte Bild dominieren und die nach einer Bildbearbeitung selbst mit einem leistungsfähigen Programm wie Topaz AI eher einem Ölgemälde als einer Fotografie gleichen?

"Die Bilder von Smartphones (gerade auch mit den neuen KI Funktionen) werden immer mehr zu schönen Gemälden, während richtige Kameras noch echte Fotos machen und damit den realen Moment einfangen". [Verfasser unbekannt]

Sensorgröße und KI
Ölgemälde – ein gutes Stichwort. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass die Sensorgröße bei Smartphones deutlich geringer ist als selbst bei MFT-Kameras und das wird auch noch eine ganze Weile so bleiben. Die Gründe dafür liegen vor allem im nicht vorhandenen Platz. Hätten diese die Größe von Vollformat- oder APS-C-Sensoren, bräuchte man zum Telefonieren zwei Hände. Somit sind der Transmission, der Lichtausbeute physikalische Grenzen gesetzt. Die Low-Light-Performance vieler Smartphones ließ deswegen in der Vergangenheit zu wünschen übrig. Das ist zwischenzeitlich (Stand 2024) besser geworden, reicht aber immer noch nicht an die Leistung moderner Systemkameras heran. Vor allem dann nicht, wenn diese im höheren Preissegment (ab 1.500 Euro aufwärts) angesiedelt sind.
Des Weiteren greift die künstliche Intelligenz (KI) in die Smartphone-Software massiv ein, was häufig zu ungewollten Artefakten führt, weil etwas hinzugerechnet wird, was nicht vorhanden ist bzw. die Smartphone-Linse nicht zu erkennen in der Lage ist.

Mit Abstand betrachtet sehen die Bilder zwar richtig gut aus und sind für Instagram, Facebook und Co. zweifelsfrei sehr gut geeignet. Sobald man jedoch nur geringfügig den Zoom bemüht (ohne gleich ins Pixelpeeping zu verfallen). Zeigen sich deutliche Schwächen.

Bei den meisten getesteten Smartphones wirken die Bilder bei genauerer Betrachtung nicht nur wie Ölgemälde, sie lassen auch eine detaillierte Zeichnung feiner Strukturen vermissen. Das wird besonders bei Tests deutlich, in denen unter Laborbedingungen ein Vergleich durchgeführt wurde und JPEG’s gegeneinander antreten mussten. Alle anderen Vergleiche ergeben auch keinen Sinn, denn ein JPEG (ein kameraintern bearbeitetes Bild) mit einem RAW (einem unbearbeiteten Dateiformat) zu vergleichen, ist dann tatsächlich so, wie Äpfel gegen Birnen antreten zu lassen.

Das alles führt mich zu der Zielgruppe.
Tatsächlich liegt in der Wahl der Zielgruppe der wesentliche Unterschied. Nutzer von Smartphones freuen sich über gute Kameratechnologien in ihren Geräten, die sie sich die meiste Zeit ans Ohr halten oder zum Freisprechen nutzen. Smartphones vereinen mehrere Welten miteinander. Sie eignen sich zum Telefonieren, zum Spielen, zum Internetsurfen, zur Kommunikation jedweder Art und können nebenbei auch noch gute Fotos machen. Würde ein professioneller Fotograf mit einem Smartphone eine Hochzeit für einen Brutto-Tagessatz von 2.500 bis 3.000 Euro fotografieren wollen? Mitnichten. Kein oder nur sehr eingeschränktes Zoomen, kein Einsatz von Blitzlicht, künstlich errechnetes Bokeh, geringe Akkuleistung (mitunter das größte Problem bei Smartphones – Apple’s iPhone Besitzer wissen darüber ein Klagelied anzustimmen). Ehrlich gesagt hätte ich ein schlechtes Gewissen, mit einem Smartphone bei einer Hochzeit zu erscheinen.
Mit anderen Worten: Man verfügt über ein Smartphone, bei dem die Kamera dabei ist – ob man will oder nicht. Wer sich bewusst ist, dass trotz aller technologischen Fortschritte die KI – sprich ein chinesischer oder indischer Programmierer - die Hauptarbeit leistet und nicht allzu genau hinschaut, sich dennoch an fotografischen Regeln orientiert und mit übersättigten und zumeist überschärften Bilder klarkommt, für den ist das Smartphone als Ergänzung oder Ersatz einer „richtigen“ Kamera eine gute Alternative. Betrachtet man dann noch den Preis (max. 1.200 Euro) und den damit verbundenen Nutzen, kommt dem Smartphone eine größere Bedeutung zu, als wir allgemeinhin annehmen (wollen).
Wer ernsthaft fotografieren möchte (fernab der Knipserei), gerne mit Wechselobjektiven unterschiedliche Brennweiten zum Einsatz bringt, besondere Effekte erzielt und seiner Kreativität deutlich mehr Raum zukommen lässt, der kommt an einer „richtigen“ Kamera kaum vorbei. Damit wird es dann auch deutlich teurer. Darüber muss man sich im Klaren sein. Der professionelle Fotograf, der mit seiner Arbeit seine Familie ernährt, ist sich dessen bewusst und wird die Investition in seine Ausrüstung richtig einzusetzen wissen.

Fazit
Es gibt also kein richtig oder falsch. Die Smartphone-Fotografie hat genauso ihre Berechtigung, wie die Fotografie mit einer Canon, einer Sony, einer Fujifilm, einer OM-System oder einer Leica. Es ist kein entweder oder, sondern das Fotografieren in zwei Parallelwelten, über deren Ergebnisse letztendlich – neben allen wissenschaftlichen, technologischen Vergleichen – der Betrachter entscheidet. Und ja, man darf ein Smartphone-Foto durchaus auch schön finden.
Wenn die Smartphone-Fotografie dazu führt, sich mit der Fotografie an sich auseinanderzusetzen und sich zu einem späteren Zeitpunkt eine Kamera zu kaufen, freut das die Hersteller und erhält weltweit viele Arbeitsplätze. Beide Systeme können hervorragend nebeneinander existieren und wir sollten aufhören, ein entweder oder zu propagieren.

Hier noch zwei Links mit Material für diejenigen, die sich etwas tiefer in die Materie einfinden möchten.
[Die hier veröffentlichten Links wurden von mir am 09.03.24 geprüft. Für fehlerhafte Darstellungen oder deren Inhalte übernehme ich keine Verantwortung.]

©Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

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