Pixelpeeping - die Suche nach Unschärfe?

Jürgen Pagel

Pixelpeeping oder warum es sich lohnt, einfach entspannt zu bleiben

Nahezu jede Fotografin und jeder Fotograf schaut sich seine Bilder in der Vergrößerung an. Dabei ist eine 100%-Ansicht durchaus üblich.
Das, was manche – ich bin sogar geneigt zu sagen „viele“ – mit einer 400%igen Ansicht bewirken wollen, erschließt sich mir nicht wirklich.

Moderne Systemkameras, sogar ältere Spiegelreflex- sowie analoge Kameras, verfügen dank teils hervorragender Objektive über herausragende Schärfeeigenschaften.
Voraussetzung dafür ist, dass die Verschlusszeit für die Lichtverhältnisse angemessen kurz ist, die ISO so gering wie möglich eingestellt ist und das Objektiv oder die Kamera (am besten beides) über eine Stabilisation verfügen – wobei das Objektiv selbst ein wesentlicher Garant für Schärfe ist.

Was ist überhaupt Schärfe?
Der Begriff Schärfe bezieht sich auf die allgemeine Klarheit eines Bildes. Und zwar unter Berücksichtigung von Fokus und Kontrast. Wenn das Motiv eines Bildes scharf ist, erscheint das Bild klar und naturgetreu. Details, Kontrast und Textur sind also sehr detailliert wiedergegeben. (“Schärfe in der Fotografie einfach erklärt - webdigital”)

Äußere Einflüsse wie das Objektiv selbst, die Wetterlage, die Distanz, die Blende, die Verschlusszeit und natürlich auch die ISO beeinflussen die Schärfe unter Umständen erheblich. Der größte Unsicherheitsfaktor jedoch ist und bleibt der Fotograf selbst.

Bildgröße
Ein einzelner Pixel ist 1,3 Mikrometer groß (1 Mikrometer ist das Tausendstel eines Millimeters). Eine Kamera mit 12 Megapixel liefert Bilder in der Größe von rund 4.000 x 3.000 Pixel, eine Kamera mit 24 Megapixel Bilder mit etwa 6.000 x 4.000 Pixel. Der Unterschied zwischen einer 12 und einer 24 Megapixel-Kamera ist daher übrigens deutlich kleiner als meist erwartet.

Pixelschärfe
Was dem Pixelpeeper bei der Betrachtung von Bildern auffällt, ist nicht die Schärfe, sondern die Unschärfe. Und die kann durchaus gewollt sein. Kontrollierte Schärfeebenen sind ein wichtiges Gestaltungsmedium in der Fotografie. Hinzu kommen einige physikalische Eigenschaften der Objektive, die den sogenannten Bildwinkel bestimmen.

Wenn Sie aus 5 Meter Distanz eine Backsteinmauer fotografieren, werden Sie IMMER Unschärfen in den Ecken finden. Der Bildwinkel beträgt bei einem 50mm-Objektiv 46 Grad. Während zentral der Abstand zur Mauer 5 Meter beträgt, ist die Entfernung im Randbereich 5, 42 Meter. Eine Schärfe in 5m und gleichzeitig in 5.42m zu erreichen ist bei einer Messung mit Offenblende nahezu unmöglich. 

Im Allgemeinen gilt zwar eine möglichst geringe Bildfeldwölbung als wünschenswert, jedoch ist das für die Fotografie eine der eher weniger wichtigen Eigenschaften. Deswegen wird bei Objektiven (außer solche im Makrobereich) in aller Regel ein gewisses Maß an Bildfeldwölbung hingenommen, um dafür eine geringere Baugröße, ein geringeres Gewicht, einen geringeren Randlichtabfall zu erzielen. Die Konstruktion eines Objektivs ist nun mal stets ein Kompromiss. Wäre das anders, würden man ein solches Objektiv weder tragen noch bezahlen können.

Es ist normal, dass die Schärfe zum Rande hin etwas abfällt, auch dann, wenn das Bildfeld perfekt eben oder das Testmotiv dem gewölbten Bildfelde angepasst wäre. Stimmen die Wölbungen von Bildfeld und Motiv nicht überein, so addiert sich der dadurch bedingte Fokus-Fehler am Bildrand zum konstruktionsbedingten Randschärfeabfall noch hinzu. Ein Objektiv gilt als umso besser, je höher die Schärfe in der Bildmitte ist und je geringer der Schärfeabfall zum Rande ausfällt.

An einer Ziegelmauer kann man sich leicht einen ungefähren Eindruck von der Bildfeldwölbung eines Objektivs verschaffen. Richten Sie das Objektiv bei offener Blende senkrecht auf die Mauer und fokussieren Sie so, dass die Bildmitte scharf abgebildet wird. Sind auch die Ecken scharf, so ist der Randschärfeabfall gering und das Bildfeld eben. Sind die Ecken aber unscharf, so nähern Sie sich einige Zentimeter der Mauer an, ohne die Fokuseinstellung am Objektiv zu verändern und machen Sie eine weitere Aufnahme. Die Bildmitte wird nun weniger scharf, weil ja die Fokussierung nicht mehr exakt stimmt. Werden aber zugleich die Bildecken schärfer, so liegt eine positive Bildfeldwölbung vor – d. h. das Bildfeld ist aus Sicht der Kamera konkav gewölbt. Werden hingegen die Ecken schärfer, wenn man den Abstand zur Mauer ein wenig vergrößert, so liegt negative Bildfeldwölbung vor, also ein konvex gewölbtes Bildfeld. Werden die Bildecken in beiden Fällen unschärfer, so handelt es sich um eine schwache Schärfeleistung in den Ecken.
Die Bildfeldwölbung ist im Nahbereich meist stärker ausgeprägt als im Fernbereich.

Und nun?
Testergebnisse sind das eine, die Praxis das andere. Es ist vollkommen korrekt, dass Sie die Schärfeleistung Ihres Objektivs testen. Schließlich testet ein Golfspieler auch seine Schläger, um sich sicher zu sein, wie weit er mit dem jeweiligen Eisen oder Driver schlägt – für eine Spielstrategie in Abhängigkeit des zu spielenden Platzes ist das unerlässlich.
Aber in der Praxis kommen nun sehr viele Einflüsse hinzu. Kontrastarme Motive verhindern eine optimale Fokusleistung. Ein leichtes „Shaking“ beim Halten der Kamera, bringt Bewegungsunschärfe ins Spiel. Ist bei Verwendung eines Stativs die kamera- oder objektivinterne Stabilisation nicht ausgeschaltet, kann dies auf Grund des Kompensationsbestrebens der Kamera zu Unschärfen führen. Leicht verschmutze oder staubige Linsen verhindern eine exakte Fokussierung, auch wenn die Partikel selbst auf dem Bild nicht erkennbar sind. Leichter Dunst in der Landschaft, sich bewegende Luft v.a. bei der Verwendung von großen Brennweiten und vieles andere mehr führen zu Unschärfen, die dem „normalen“ Betrachter nicht auffallen werden und dem Fotografen, der im Idealfall um all diese Unbilden weiß, auch nicht. Bis zu dem Moment, wo er auf 100, 200 oder gar 400% vergrößert. Ab diesem Zeitpunkt nimmt das Elend seinen Lauf.

Ein zuvor fantastisches Bild wird weniger wertvoll. Die Arbeit, der Aufwand, die Kamera, die An- und Abfahrt, das nervenaufreibende Warten – all das bleibt gleich. Aber Sie sehen eine kleine Unschärfe und Schwupps geht die Zufriedenheit dahin. Binnen Sekunden.
Dabei hat alles gepasst. 5.000 Euro-Kamera, 1.000 Euro-Objektiv, Stativ, supertolles Equipment – alles perfekt. Aber leider unscharf. Bei 400%. Ganz blöd.

Wer so weit gekommen ist, dass er die Qualität seines eigenen Bildes auf Grund einer vielfachen Vergrößerung anzweifelt, leidet unter dem „Pixelpeeper-Syndrom“. Dabei handelt es sich nicht um eine anerkannte Pathologie. Es gibt dafür bzw. dagegen keine Fachärzte und die Therapie wird auch nicht von den Krankenkassen übernommen.

Als einzige therapeutische Intervention dient lediglich der Zeigefinger: weg mit dem von der Maus und dem Vergrößerungsfeld Ihres Bildbearbeitungsprogramms. Das war’s. Wenn alle Krankheitsbilder sich einfach heilen lassen, wäre das super.

Die Heilung ist so einfach wie logisch. Das Einzige, was Sie dazu benötigen, ist gesunder Menschenverstand.
Nein, jetzt mal ernsthaft. Unschärfen in den Randbereichen? Hätten Sie lieber gleich ein paar Euro mehr in das Objektiv gesteckt als in den 25sten Kameragurt. Lösung? Vignettieren Sie Ihre Bilder (leicht). Damit ist das Problem gelöst. Es sieht gut aus und lenkt den Blick.
Verschlusszeit zu lang? Künftig trotz IBIS und OBIS die Verschlusszeiten verkürzen. Passen diese nicht zu Ihrer Bildidee, verwenden Sie ein Stativ. Diesige Umgebung? Warten Sie auf besseres Wetter oder wählen Sie eine andere Tageszeit.
Staub auf der Linse? Nehmen Sie ein feuchtes Tuch und machen Sie das, was man vor und nach jedem Ausflug machen sollte – Ausrüstungscheck und sauber halten. Sich bewegende Luft (im Sommer) und große Brennweite? Das ist doof, aber damit müssen Sie leben (lernen).
Und – Finger weg von dem Regler zur Ansicht. 100% ok. Aber mehr muss wirklich nicht sein.
Und was auch gut hilft, ist Topaz AI. Damit lässt sich manche, vermeintliche unscharfe Aufnahme doch noch retten.

Fazit
Denken Sie immer daran:
  1. Ein unscharfes oder verrauschtes Foto von etwas Großartigem ist immer noch besser als gar keines. Ok, bei beidem gleichzeitig wird die Luft deutlich dünner.
  2. Niemand betrachtet Ihr Bild aus zwei Zentimeter Entfernung. Vor dem Bildschirm sind 60 cm ebenso normal, wie zwei Meter bei einer Ausstellung und wer dennoch Fehler findet, darf sie gerne behalten.
  3. Bleiben Sie entspannt. Ihnen muss das Bild gefallen. Tut es das in der 33%-Ansicht nicht, dann zeigen Sie es auch niemand anderem, denn dann hat irgendetwas nicht gepasst. Bleiben Sie entspannt. Es muss bei weitem nicht jedes Bild MUSS ein Volltreffer sein bzw. werden.
  4. Es sind nur Bilder. Einfach nur Bilder. Zunächst auf Ihrem Computer. Wenn Sie ein Shooting so richtig vermasseln, kann das ziemlich doof sein. Aber eigentlich nur, wenn Sie Aufträge shooten. Denn dann lässt sich das leider häufig nicht mehr wiederholen – Sie haben einen Kunden weniger und der Kühlschrank bleibt leer. Das soll gut für die Figur sein. Sind Sie Hobbyfotograf oder aufstrebender Amateur, dürfen Sie in Ihrem tiefenentspannten Zustand weiter verweilen. Alles wird gut. Wenn nicht heute, dann morgen.
  5. Bleiben Sie vorsichtig, wenn jemand behauptet, sein Objektiv sei scharf bis in die Ecken – wahrscheinlich übertreibt er maßlos. Beliebt ist auch: diese Kamera macht superscharfe Bilder. Nein. Macht sie nicht. Wenn das Objektiv schlecht ist, kommt da nix bei herum. Und selbst wenn das Objektiv super ist, hat die Kamera einen relativen kleinen Einfluss auf die Schärfeleistung.
©2023 Jürgen Pagel | Lichtwerk.Design

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