Ist die (herkömmliche) Fotografie tot?

Jürgen Pagel

Eine viel diskutierte Frage. Lassen Sie uns dieser Frage einmal nachgehen.

Warum stellt sich diese Frage überhaupt? Ist der Beruf des Bäckers tot? Oder der des Flaschners? Oder der des Physiotherapeuten?

Nein. Sie sind alle nicht tot. Sie haben sich nur im Verlauf der vergangenen fünfzig und mehr Jahre verändert. Heutzutage hat fast jeder und jede ein Handy. Diese Wunderwerke der Technik (noch vor dem 21. September 1983, als Martin Cooper sein Motorola DynaTAC 8000X auf den Markt brachte, galt so etwas als Teufelswerk) machen tolle Bilder. Und es ist nur noch eine Frage von wenigen Jahren, bis so ein Mini-Fotoapparat dem Nutzer Tipps zur Bildgestaltung als Sprachbefehl erteilt. Man kann spektakuläre Dinge damit machen, Augenblick, Szenen binnen Sekunden umsetzen - alles von einer bestechenden Qualität. Aber eben weil das alle können, ist jeder ein Fotograf, veröffentlicht seine Bilder auf Instagram, Facebook und allen möglichen Plattformen. Das Netz ist voll damit.

Warum ist dann die klassische Fotografie nicht tot?
Wer Bilder mit einer 2.000 Euro-Kamera im Vollformat genauso macht, wie Andere mit dem Handy, wird diesen Wandel nicht überstehen. Genauso wenig, wie der Physiotherapeut, der noch mit den gleichen Gehtoden und den gleichen Prinzipien arbeitet, die er vor dreißig oder vierzig Jahren einmal gelernt hat. Oder an andere überliefert, die das dann unkritisch und ohne nachzudenken, genauso umsetzen, wie es der Kollege oder die Kollegin vor dreißig oder vierzig Jahren auch gemacht hat.
Wer heute noch die Kunst des Brotbackens mit den gleichen Mittel, wie vor vierzig Jahren betreibt, hat gegenüber Großbäckereien, die mehrere tausend Brötchen jeden Tag vom Fließband werfen, keine Chance.

Wer Facebook und Co. eine Absage erteilt, ist einfach nur ignorant. Es ist halt so. Die Zeit schreitet voran und jedes Ding hat seine Hochzeit. Betrachtet man den Gauß'schen Produktlebenszyklus, so fällt auf, dass jedes Produkt (auch die Fotografie, die Physiotherapie, die Backkunst, das Schmuckdesign und anderes mehr) einem typischen Verlauf unterliegt.

Einer Entwicklungsphase folgen das Wachstum, die Etablierung und die Marktreife. Um dann - sofern nichts weiter geschieht - wieder vom Markt zu verschwinden. Entscheidend ist der Zeitpunkt des Übergangs von der Phase II zur Phase III. Innovationen, technische Weiterentwicklungen, Spezialisierungen im Beruf, laufende Weiterentwicklung müssen die Sättigung des Marktes verhindern.

Die Fotografie, so wie wir sie kennen, befindet sich m.E. im Stadium des Übergangs von Phase III zur Phase IV. Daran ändern auch immer größere Sensoren, immer kleinere Kameras mit immer besserer Technik nicht mehr viel. Der technische Fortschritt bietet nur noch Gewinn für Spezialisten, für einige wenige Top-Profis, die 100 MP auch zu nutzen wissen. Solche, die mit einer Fujifilm GFX und dem, was mit dieser zweifelsfrei herausragenden Kamera 90% ihres Lebensunterhaltes verdienen. Und tatsächlich ist bisher Fujifilm am Besten aus der Krise gekommen. Konsequente Weiterentwicklungen, Shootings in JPEG-Format mit den ebenfalls herausragenden Filmsimulationen, die es so bei keinem anderen Hersteller gibt, scheinen den Nerv der Zeit zu treffen. Viele Hersteller stellen mittlerweile offene Produktserien ein, weil sie keine Abnehmer mehr finden. Technisch ist das alles ziemlich ausgereizt. Es git nur noch wenig Luft nach oben.

Also müssen Spezialisierungen her. Und genauso funktioniert das mit den oben genannten Berufen - auch der Fotografie. Was machst Du besonders gerne? Was kannst Du am Besten? Was unterscheidet Dich von anderen Fotografen? Warum machst Du das, was Du machst? Welche Leidenschaft, welche Emotion treibt Dich?
Die Menschen wollen Emotionen, sie wollen "gefesselt" werden vom Inhalt. Von der Aussage. Einfach nur schön reicht nicht.

Alles das können (und wollen) Handy's nicht. Sie halten einen Moment fest - kurz und knackig. Aber wer es versteht, mit Handy's ganze Actionfilme zu drehen, wer spektakuläre Handy-Videos dreht, wie beispielsweise Jordi Koalitic oder Rainer Wolf, der hat es offensichtlich verstanden.

So muss sich jeder Fotograf, jede Fotografin eine Lücke suchen, sich auf ein bis drei Genre's spezialisieren. Für den einen mag das die Hochzeitsfotografie sein, für einen anderen die Tierfotografie oder die Darstellung industrieller Bauten. Die klassische Dokumention hat ebenso ihre Fans, wie die People-Fotografie. Wichtig ist nur, Du musst innovativ und gut sein. Dann ist die Fotografie nicht tot.

Handy's können (noch) keine Schärfentiefe, Handy's mit herausragenden Kameraeigenschaften sind teuer. Richtig nutzbar - wenn es über die Knipser von Urlaubsfotos hinausgehen soll - wird es erst mit entsprechend aufwendigem Zubehör. Das hat ebenfalls seinen Preis (Linsen, Gimbal etc.). So kommen schnell mal um die tausend Euro zusammen. Für das Geld gibt es auch schon eine gebrauchte SONY A7III mit einem Standardobjektiv. Handy kann nahezu jeder. Die Bilder- und Filmflut ist gigantisch. Qualitativ herausragende Bilder, wie sie für Magazine oder Videoproduktionen benötigt werden, bedürfen neben einem entsprechenden Equipment (zugegeben, da sind auch schnell mal 10.000 Euro und mehr investiert) aber vor allem Fertigkeiten, über die Handynutzer in aller Regel nicht verfügen. So sollte man in den Handy's mit ihren Microsensoren keine Konkurrenz sehen, sondern sie mit den Fähigkeiten eines professionellen Fotografen als Add on sehen.

Ich denke, da ist für jeden etwas dabei. Man muss es nur nutzen - und akzeptieren, das sich die Welt weiter dreht. Mit oder ohne uns.

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