Ihre Fotos gefallen mir ...

Jürgen Pagel

Der Koch: "Ihre Fotos gefallen mir, Sie haben bestimmt eine gute Kamera!" Helmut Newton (nach dem Essen): "Das Essen war vorzüglich - Sie haben bestimmt gute Töpfe!"

Was auf den ersten Blick wie ein Witz anmutet, entpuppt sich auf den zweiten Blick (mit dem Zweiten sieht man ja bekanntlich besser) als ein ernstgemeintes Vorurteil der Menschen, die nichts oder wenig mit Fotografie zu tun haben.

Umso spannender war ein Video von Thomas Hinze, RAW-Akademie, in dem es ihm m.E. gelungen ist, den Mythos "Vollformat ist die bessere Kamera" zu zerstören - wohl auch zu seiner eigenen Überraschung. Hier der Link zu dem Video https://youtu.be/_nIUN_DEmz4.

Läuft man mit einer Fujifilm X-T4 und einem 23mm von Viltrox durch die Stadt, heißt es gleich: "Das muss ein professioneller Fotograf sein." Hat man dagegen eine Fujifilm X100F oder X100V mit einem 23mm fest verbautem Objektiv über der Schulter oder um den Hals hängen, geht man in der Masse der Touristen unter. Die Bilder beider Kameras unterscheiden sich übrigens genauso wenig, wie die von APS-C und Kleinbildformat. Genauso wenig heißt, es gibt sehr wohl marginale Unterschiede. Aber die sind deswegen marginal, weil "marginal" am "Rande liegend, nicht unbedingt wichtig" bedeutet.

Es ist erstaunlich, dass es uns Fotografen seit 1826 nicht wirklich gelungen ist, Vorurteile hinsichtlich der Fotografie selbst wie auch bezüglich der Ausstattung, aus dem Weg zu räumen.

So gilt jemand mit einem "dicken" Objektiv als gefährlich, als der "Lügenpresse" angehörig und jemand mit dem Handy als normal. Letzterem begegnet die Mehrzahl der Mitmenschen vollkommen gelassen, weil es zum Straßenbild und somit zum täglichen Leben gehört. Der Handyfotograf muss selten jemanden fragen, ob er ein Bild machen darf - er macht es eben. Der mit dem "dicken" Objektiv sieht sich ständig dem Erklärungsbedarf ausgesetzt, was er da eigentlich macht.


Selbst schon mehrfach erlebt. Erst kürzlich wieder. Ich lag in Bietigheim-Bissingen im "Japanischen Garten" auf einer Wiese auf dem Bauch - mit Kamera - und fotografierte die Tauben bei der Futteraufnahme. Ausnahmsweise mal keine Pommes und keine alte, gammelige Currywurst, die Jugendliche üblicherweise - nachdem ihnen schlecht geworden ist - achtlos auf die Wiese werfen. Ja, Sie haben übrigens richtig gelesen. Jugendliche. Nicht, das Erwachsene so etwas nicht machen würden, aber die unfassbar absolute Mehrzahl derjenigen, die das regelmäßig machen, sind zuverlässigen Quellen zu Folge tatsächlich Jugendliche.

Ich lag also auf dem Bauch und wurde - von mir lange unbemerkt - von einer älteren Dame beobachtet. Nachdem ich mich aus der Bauchlage hochgequält hatte (meine Hüfte), fragte sie mich mit einem gewissen wenig charmantem Unterton, was ich da mache (obwohl man das - so glaube ich zumindest - ziemlich genau sehen konnte. Sie meinte dann, ich sei von der Presse und wollte einen Artikel gegen die Tauben schreiben. Sie war nämlich - wie sich im Gespräch herausstellte - von der Taubenhilfe.
Im Folgenden ergab sich ein ausgesprochen nettes Gespräch über die Tauben und deren Hilfsorganisation, in dem ich viel über Tauben und dem Engagement über dieselben lernte und die Dame ebenso viel über die Fotografie.

Nicht, das ich nicht gerne erkläre, was ich so mache. Aber - zack - waren eineinhalb Stunden vorbei, obwohl ich "nur mal schnell" ein paar Taubenbilder machen wollte. Was sicher auch an mir lag, weil ich recht gerne erzähle und wir von einem zum anderen Thema kamen.

Ich bin sehr sicher - wenn ich die Bilder mit einem Handy gemacht hätte, wäre das vollkommen anders ausgegangen.

Und genau so ist das auch mit dem Vollformat vs. APS-C. Mythenbehaftet. Nein, eine Vollformat-Kamera ist keineswegs schlecht und sie mag in (ganz) wenigen Anwendungsbereichen ihre Berechtigung haben - wenn es darum geht, das letzte Fitzelchen Freistellung zu erzielen.
Aber in den allermeisten Anwendungsbereichen fehlt schlicht der Grund, warum sich ein APS-C'ler eine Vollformat zulegen sollte. Es gibt nahezu nichts, was man nicht mit etwas mehr oder weniger Abstand zum Motiv oder mit der Wahl der entsprechenden Brennweite bzw. der Blende nicht irgendwo geregelt bekommen würde.


Die Nerds kommen jetzt sicher wenigstens mit der ISO um die Ecke - von wegen weniger und späteres Rauschen. Aber auch das ist ein Trugschluss. Wenn ich bei so schlechten Lichtverhältnissen fotografiere, dass ich eine ISO von 12.800 und mehr benötige, mag der Unterschied relevant sein. Aber wann und wie oft kommt das vor? Selten, sehr selten. Und selbst dann kann ich mit einer ISO 6.400 in den dunklen Raum fotografieren und in der Bildbearbeitung die Belichtung hochziehen - ohne merklich Verluste hinsichtlich der Bildqualität. Wer's nicht glaubt, soll's ausprobieren. Es geht.

Warum ist das so? Will uns die Kameraindustrie ein X für ein U vormachen? Mitnichten. Aber sie wollen eben verkaufen. Hier bietet sich ein Vergleich mit der Fitnessindustrie an. Seit Anbeginn bin ich ein eifriger Besucher der FIBO gewesen. Was habe ich dort gesehen? Zumindest nichts Neues, obwohl die Versprechen grandios waren. Mehr Fitness, mehr Gesundheit, ständig neue Sachen. In Wirklichkeit wurde das Design geändert und lackiert. In poppigen Farben sieht alles anders aus. An der Funktion hat sich nichts und wenn doch, dann marginal wenig, geändert. Hauptsache verkauft. Alter Wein in neuen Schläuchen - wie man so schön sagt.

Die Kamerahersteller machen es nicht anders. Sie nutzen die Erkenntnis, das viele Menschen in der Zeit der Pandemie, sich auf das Fotografieren verlegt haben. Das ist gut und sinnvoll. Jetzt wollen sie den Schwung mitnehmen. Blöd ist nur, dass der Chipmangel ihnen einen gewaltigen Strich durch die Rechnung macht. Erst füttern sie die Leute an und jetzt können sie nicht liefern. Das scheint für viele Fotografen das Ende der Fotografie zu sein. Plötzlich sind die "alten" Kameras nicht mehr gut genug. Plötzlich reichen 24 MP nicht mehr - 56 oder mehr müssen her. Ok, das gibt etwas mehr Freiraum beim Beschneiden der Bilder, aber eben auch mehr ISO-Rauschen (ab 12.800) - Letzteres wird gerne vergessen.

Fazit
Was bedeutet das nun für uns Fotografen? "Schuster, bleib' bei Deinen Leisten" oder besser "Fotograf, bleib' bei Deiner Kamera". Wer eine APS-C hat, soll sie behalten. Wer eine Vollformat sein eigen nennt, soll sie behalten oder gegen eine APS-C tauschen - Spaß. Ich habe das übrigens gemacht. Ich hatte viele APS-C-Objektive, aber nur wenige Vollformat-Objektive. Ich habe meine Sony A7III gegen die Fujifilm X-T4 getauscht und bin bis heute superglücklich damit.
Eine Kamera muss schön sein. Und funktionell. Was schön und funktionell ist, nutzt man sehr viel häufiger. Erst kürzlich habe ich einen Bericht gelesen und gesehen von jemandem, der sich eine superteure Canon für weit über 4.000 Euro gekauft hat und dann feststellen musste, dass diese nach 30 Minuten in 4K eine Überhitzungswarnung von sich gibt, ohne das es sich irgendwie nachvollziehen lässt, wann denn nun tatsächlich eine Überhitzung stattfindet und die Kamera unversehens abschaltet. Prima. Das Problem hatte ich bei meiner -T4 noch nie. Der Kenner weiß, warum.
Eine Kamera muss Spaß machen und lieber kaufe ich ein paar neue Objektive. Ja, richtig gelesen, ein "paar" - nämlich manuell zu fokussierendes Altglas mit herausragender Optik aus deutscher, japanischer und russischer Produktion für relativ wenig Geld. Viele dieser Objektive kosten nämlich selten mehr als 100 Euro. Somit bleibt noch genug Geld übrig, um mit meiner Frau zum Essen zu gehen oder Rücklagen für die nächste Gaspreiserhöhung zu bilden.


©Jürgen Pagel 2022 LICHTWERK.DESIGN

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