Bildbearbeitung oder so ähnlich

Jürgen Pagel

SOOC (Straight out of cam) oder OOC (Out of cam) – der neue heilige Gral in der Fotografie. Als ob das Leben nicht sowieso schon schwer genug ist.

Wie immer liegt das vollkommen im Auge des Betrachters bzw. der Betrachterin. Zweifelsfrei gilt es das Composing von der klassischen Nachbearbeitung eines Bildes, einer Fotografie zu unterscheiden. Bei einem Composing handelt es sich ähnlich wie bei einer Collage um ein Zusammenfügen einzelner Bilder -die deutsche Übersetzung für das Wort bedeutet komponieren. Im Prinzip ist es auch genau das, was ein Composing ausmacht. Man komponiert einzelne Bildelemente mit anderen Elementen. Dabei wird das Bild, die Fotografie in aller Regel eine verfremdet. Und das ist keineswegs negativ gemeint, denn erstens ist das richtig viel Arbeit und zweitens eine eigenständige Form der künstlerischen Darstellung.
So gehört auch das Austauschen eines Himmels zum Composing und geht eindeutig über die klassische Form der Bildbearbeitung hinaus.
Composings werden vor allem in der Werbung eingesetzt, um eindrucksvolle „Welten“ zu schaffen und die Betrachter in ihren Bann zu ziehen.
Der „normale“ Fotograf macht sich in aller Regel diese Kunstform nicht zu eigen und mittlerweile werden auf Grund vorherrschender Programme wie Lunimar AI/ Neo, Photoshop und Lightroom (um nur einige zu nennen) Stimmen laut, die eine Kenntlichmachung der Fotografien fordern, um ein „Original“ vom einem Composing (also einem Bild, bei dem beispielsweise der Himmel oder Szenerien ausgetauscht wurden) zu unterschieden.
Ob das die richtige Form der Differenzierung ist, will ich nicht beurteilen.

Wer Fotografien aufmerksam betrachtet, bemerkt den Unterschied sowieso recht schnell. Und ich finde beide Varianten vollkommen in Ordnung – sofern ein Composing nicht als „Original“ präsentiert wird. Es kommt darauf an, welchen Zweck und welches Ziel man mit einer Veröffentlichung seiner Fotografie verfolgt.
Leider haben allzu viele Composings keinen künstlerischen Hintergrund, sondern bedienen lediglich den Mainstream in den sozialen Medien. Das ist schade und wird dem eigentlichen Sinn dieser Kunstform nicht gerecht – führt sie eher in ein ad absurdum.

Um so mehr brüsten sich andere Fotografen und Fotografinnen gerne mit sogenannten OOC- oder SOOC-Fotografien. Das ist das neue Qualitätsmerkmal für digitale Fotos, denn es bedeutet, das die Bilder unbearbeitet sind – zu sein scheinen. Nicht manipuliert. Echt. Sie zeigen die Welt so wie sie ist. So wie wir früher den Rand des Negativs mit auf das Fotopapier belichtet haben, um zu zeigen, dass das Bild nicht beschnitten wurde.

Das "Original-RAW"

Das mit Lightroom bearbeitete Bild.

Ich behaupte, dass es keine unbearbeiteten Fotos gibt. Jedes digitale Bild in der Kamera eine Bildbearbeitung, die je nach eingestelltem Bildstil mehr oder weniger stark ausfällt. Wer seine Fotos also „Out of cam“ benutzt, überlässt die Bildbearbeitung schlicht und einfach dem japanischen, indischen oder chiensischen Programmierer der Kamera-Firmware. Das ist nicht schlimm! Viele Schwarz-Weiß-Fotografen früherer Tage haben ihre Abzüge nicht selbst gemacht. Sie hatten dafür einen „Printer“, also einen Dunkelkammerespezialisten, der die Abzüge nach Absprache mit dem Fotografen hergestellt hat. Helmut Newton z.B. hatte einen Printer, mit dem er viele Jahre zusammengearbeitet hat. Aber er hätte sicherlich nicht behauptet, seine Fotos seien OOC. Und Helmut Newton wie auch die anderen Fotografen wäre auf die Idee gekommen, einem Kunden den unentwickelten Filstreifen in die Hand zu drücken, um die Fotografien beurteilen zu lassen.


Und RAW-Daten?

Wenn ich behauptet habe, dass digitale Bilder in der Kamera bearbeitet werden, dann gilt das natürlich primär für JPG-Dateien. Aber auch RAW-Daten müssen vom Rohdatenkonverter „interpretiert“ werden, bevor wir sie am Bildschirm betrachten können. Da wir Menschen Helligkeiten logarithmisch wahrnehmen, ein digitaler Sensor aber linear, muss das digitale Bild zunächst an die menschliche Wahrnehmung angepasst werden. Das ist eine der Aufgaben, die ein Rohdatenkonverter ungefragt erledigt, wenn wir eine RAW-Datei öffnen. Ohne diese Anpassung wären die Bilder viel zu dunkel und zu flau. Man kann sich leicht vorstellen, dass es bei dieser Anpassung an die menschliche Wahrnehmung einen großen Spielraum gibt. Das gilt auch für die Wiedergabe von Farben. Man kann sich leicht davon überzeugen, wenn man dasselbe Bild in unterschiedlichen Rohdatenkonvertern öffnet. Jeder Rohdatenkonverter interpretiert die Daten ein wenig anders. Daher sehen die Bilder auch unterschiedlich aus, obwohl man noch gar keine Einstellungen vorgenommen hat.


Was sieht die Kamera und was sehe ich?

Wer seine Fotos nicht bearbeiten will, geht davon aus, dass die Kamera unbestechlich ist und die Wirklichkeit so wahrnimmt wie er oder sie selbst. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, vollkommen naiv und wirklichkeitsfremd.


Die Bearbeitung einer Fotografie ist m.E. ein unbedingtes Muss. So entwickelt sich neben dem Stil, zu fotogieren auch ein ganz eigener Stil der Bildbearbeitung. Ob ein eintöniges Bild am grauen Wintermorgen nun am Ende knallbunt aussehen muss, lassen wir dahingestellt. Schließlich war die Entscheidung, das Motiv an einem grauen Wintermorgen eine ganz bewusste – hoffentlich. Ansonsten ist das nur ein Knipsbild, ohne Inhalt, ohne Aussage und die knallbunte Aufmachung dient der Ablenkung von der Untauglichkeit des Motivs. Kann man so machen, muss man aber nicht und wird der Mehrzahl der Betrachter auch nicht wirklich gefallen.


So ist – nennen wir es eine - seriöse Bildbearbeitung auch eine Kunst und sie bedarf vieler Übung, viel Training, um das hervorzuheben, was des Hervorhebens wert ist. Es ist die Entwicklung eines an sich schon hervorragenden Motivs, dem durch den „Feinschliff“ die Aussagekraft verliehen wird, die es letztendlich verdient. Das eigentliche Können zeigt sich dann in einem dezenten und dennoch deutlich bewussten Verändern von Farben, Kontrasten und der Helligkeit sowie dem Anpassen von Schärfe, Struktur und geometrischer Korrektur.

All das macht aus „einem Opel keinen Ferrari“. Wenn das Ausgangsmaterial langweilig und uninteressant ist, wird es auch nach einer umfangreichen Bearbeitung nicht besser. OOC oder gar SOOC ist ein Trend – nicht mehr und nicht weniger. Und noch nicht einmal einer, dem zu folgen lohnt.


© 2022 Jürgen Pagel

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