Denkfehler in der Fotografie - Folge 3

Jürgen Pagel

Denkfehler in der Fotografie - Folge 3 "Muss ich haben ..."

Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder von uns - mich übrigens mit eingeschlossen - dieses Gefühl kennt, irgendetwas vermeintlich Neues, das gerade auf den Markt gekommen ist, kaufen zu müssen.

Gerade Fotografen unterliegen gar nicht so selten dem Gefühl, dass ihre Bilder erst durch das richtige Equipment richtig gut  - vor allem jedoch besser - werden.

Zack, die X-T5 war raus und schon stiegen die Lieferzeiten rasant an, weil kaum jemand von Fujifilm mit so einem Ansturm gerechnet hatte. Als wenn das die erste digitale Kamera dieser Welt wäre. Bisweilen kann man solche Hypes echt nicht mehr nachvollziehen.

Leute, ich warne Euch! Lasst ein paar Wochen, besser Monate, in's Land ziehen. Lasst die ersten Firmware-Updates kommen und wartet auf die Testberichte, die nach drei, vier Monaten erscheinen - als Praxistest und nicht mit der Schutzfolie auf dem Display und der Ansage des Tester's, dass dies das beste Display sei, das er jemals gesehen hat.

Warum?
So schwer es auch fällt, nicht der Erste sein zu dürfen, wo doch den Letzten die Hunde beißen ... geduldet Euch. Das ist so unfassbar wichtig. Was beim Autokauf wirklich jeder weiß, vergessen die Hobbyfotografen, sobald eine neue Kamera den Markt erobert. Man kauft nicht aus der ersten Serie. Jeder weiß heutzutage, dass die Versprechen der Hersteller nicht annähernd das halten, was man auch nur ansatzweise erwarten könnte. Alles muss schnell gehen, das Release-Datum steht, Anmeldungen sind da, optimale Voraussetzungen. Plötzlich - ein Fehler hat sich eingeschlichen. Egal, das Ding muss raus, egal wie. Hauptsache raus auf den Markt. So testet der Kunde unfreiwillig mit, schreibt ungefragt Kommentare in FB und Instagram und ist bisweilen sogar mit unbezahlten und unaufgeforderten Test zur Stelle (immer verbunden mit der Hoffnung, auch mal eine Kamera eines führenden Herstellers zugeschickt zu bekommen).
Warten lohnt sich in aller Regel. Kinderkrankheiten sind mit dem ersten oder zweiten Update bereits weg. Die Kamera läuft solide, der eine oder andere Kritikpunkte wurde nachhaltig beseitigt. So soll das sein.

Du brauchst keine neue Kamera ...
wenn Du Deine Kamera, mit der Du gerade fotografierst, vor drei oder vier Jahren gekauft hast;
wenn Du eine komplette Objektivausstattung (passende zu Deiner Kamera - nicht nur zu Deinem Bajonettsystem) hast, die Du komplett verkaufen müsstest, weil Deine neue Kamera dieses erfordert;
wenn Du in den Anfängen der Fotografie steckst und noch gar nicht so genau weißt, wohin die Reise geht;
wenn Du bereits Profi bist und in einem kreativen "Loch" steckst - aus dem kommst Du mit einer neuen Kamera auch nicht raus;
wenn Du mit Deiner Kamera, Deinem System total zufrieden bist, Deine Bilder dem entsprechen, was Du erwartest. Auch dann brauchst Du definitiv keine neue Kamera.

Es bleiben also tatsächlich nur sehr wenige Kriterien übrig, warum man seine lieb gewonnene Kamera in die Wüste schicken sollte.
Deine Kamera ist steinalt, noch eine DSLR (wobei das nicht schlecht oder verkehrt ist) oder Du brauchst dringend etwas Neues, weil größere Reparaturen anstehen.
Du sowieso demnächst wechseln wolltest, weil Du nach einigem Ausprobieren und Testen ein System gefunden hast, das besser zu Dir und Deiner Art zu fotografieren oder zu filmen passt.
Du verlagerst Dich mehr auf das Filmen (oder Fotografieren) und Dein bisheriges Kamerasystem ist dafür vollkommen ungeeignet und irgendwelche wilden Kompromisse kommen für Dich konsequenterweise nicht in Frage.
Du hast einen Geldscheißer, Kohle ist vollkommen egal und irrelevant.

Mehr fallen mir gerade nicht ein. Es mag sicher noch den einen oder anderen Grund geben, aber den darfst Du auch gerne behalten ;-).

Nun müssen ja die Hersteller auch von etwas leben. Das sollen sie auch. Aber wenn wir Konsumenten wirklich jeden Scheiß kaufen, auch ohne weltbewegende technische Innovation, eigentlich nur alten Wein in neuen Schläuchen, dann bauen die auch nix rechtes mehr. Wozu auch? Ich finde tatsächlich - auch wenn's altmodisch aussieht, wenn etwas funktioniert, wenn ich dafür sehr viel Geld ausgegeben habe. Übrigens auch dann, wenn es ein Schnäppchen war. Der gekaufte Gegenstand MUSS seinem Sinn nachkommen. Sonst kann ich mir das Geld sparen. Und genau dieser Mindestanspruch wird allzu häufig nur unzureichend erfüllt. Und wenn ich erst beim Auspacken merke, dass ich noch dieses oder jenes Kabel und diesen oder jenen Adapter brauche, um damit überhaupt arbeiten zu können, bekomme ich nicht nur eine Krise, sondern einen sehr gepflegten Tobsuchtsanfall.

Und all das sind auch Gründe, warum Ihr nicht immer etwas Neues braucht. Nicht nur, dass es Eure Bilder und Filme seltenst besser macht. Es macht sie zunächst schlechter, weil Ihr Euch erst einmal in das neue System, die in neue Kamera einfinden müsst.
Und es kostet Euch echt Nerven.

Und nein. Ich bin so gar kein Feind von Neuem. Im Gegenteil. Aber dieser Technikwahn und dieses immer etwas Neues haben zu müssen, obwohl das Alte noch prima funktioniert, ist schon so ein spezieller Männertick ;-).


© 2022 Jürgen Pagel

Neunzehn58 Photographie

Filmrolle auf der Hand
von Jürgen Pagel 22. September 2025
Fotografie war für mich lange Zeit nicht nur Beruf, sondern auch Leidenschaft. Doch gerade merke ich: privat fotografiere ich kaum noch.
Sensorgröße
von Jürgen Pagel 21. August 2025
Natürlich gibt es Unterschiede zwischen APS-C, Vollformat und Co. – sie sind real. Aber ihre Relevanz im Alltag wird von Marketing und Forendiskussionen massiv aufgeblasen.
2 E-Scooter-Fahrer in der Stadt
von Jürgen Pagel 21. August 2025
Breaking News: Der neueste E-Scooter fährt jetzt ganze 2 km weiter! Perfekt für alle, die jeden Tag von Berlin nach Warschau pendeln …
Mehrere E-Scooter ebeninanderen
von Jürgen Pagel 14. August 2025
Der Markt für E-Scooter boomt. Ob für den täglichen Weg zur Arbeit, als platzsparender Stadtflitzer oder als Freizeitspaß – die Auswahl ist groß.
2 Jungs auf dem E-Scooter
von Jürgen Pagel 14. August 2025
Der Markt für E-Scooter erinnert stark an den für Kameras. Beide Branchen kämpfen um Aufmerksamkeit.
E-Scooter von oben
von Jürgen Pagel 11. August 2025
E-Scooter sind aus deutschen Innenstädten nicht mehr wegzudenken. Sie stehen für flexible, emissionsarme Mobilität, sorgen aber auch zunehmend für Schlagzeilen wegen steigender Unfallzahlen und gefährlicher Fahrweisen.
E-Scooter
von Jürgen Pagel 3. August 2025
Mit kleinem "Besteck" ausgerüstet - Fujifilm X100VI w/ Mistfilter - ging es auf Städtetour mit dem Segway Ninebot Max G3.
Fotograf bei der Arbeit
von Jürgen Pagel 27. Juli 2025
Nahezu jeder Fotograf durchläuft im Laufe seines fotografischen Lebens die im Nachfolgenden beschriebenen Phasen.
Schraubenschüssel
von Jürgen Pagel 27. Juli 2025
Für Fotografen, die gerne mit leichtem Gepäck unterwegs sind, stellt der E-Scooter für ein Arbeitsumfeld von ca. 30-40 km ein ideales Fortbewegungsmittel dar.
Rettungshubschrauber auf einer Wiese nach einem Unfall mit E-Scooter
von Jürgen Pagel 23. Juli 2025
Ja, ich weiß. Ein Fullface-Helm, ein Protector-Shirt und eine lange Hose mit Protektoren sehen komisch aus.
Weitere Beiträge